1. Tor Aufbruch

1. Tor Aufbruch

Erkenne die Anzeichen, bereite dich vor. Nimm dir Zeit für dich, suche dir Unterstützung. Räume auf, reinige dich von allem, was du nicht mehr brauchst. Verzeihe und bitte um Verzeihung. Rekapituliere dein gesamtes Leben. Träume deinen großen Traum, packe ihn in dein Bündel und mach dich auf den Weg!

Marina (46)

Vorahnung

Ich habe es nie unangenehm empfunden, älter zu werden. Im Gegenteil, immer kam etwas Neues, Besseres, Unbekanntes, über das ich mich freute – und eigentlich ist das immer noch so. Meine weibliche Identität definiere ich deutlich darüber, Anziehung auf andere auszuüben, gut auszusehen, interessant zu sein, zu spielen, flirten, das Gespräch zu erotisieren, der Kick am Tag, mein Körper als Lustquelle und Kontaktaufnahme zu genießen – das verändert sich jetzt! Ich bin 46 Jahre alt, ein gutes Alter! Und wenn ich mich so ausgeruht und gebräunt im Spiegel betrachte, sehe ich gut aus, sehr gut sogar! Ich finde mich wirklich schön, aber für die Männer gehöre ich schon zu den Älteren – und damit nimmt die Nichtbeachtung zu, das gleichgültige Wegschauen, das am- erotischen- Spiel- Ausgeschlossen werden. Die jungen Frauen zählen, an denen bleiben die Blicke begehrlich hängen. Sicher, ganz so schlimm ist es noch nicht, aber schon spürbar – es wird von Jahr zu Jahr zunehmen. Was aber kommt danach? Hu!

Eine Schlange, die mit ihrer alten Haut in den letzten Zügen liegt, so komme ich mir vor. Die Häutung, die sich anbahnt, Vorzeichen, die Hinweise in den Wolken, der Vogelflug, der sich unmerklich geändert hat, die Pflanze, die ihre Blüte in eine andere Richtung dreht.

Ich will alles, was sich da nähert, auch das Schmerzliche, bewusst erleben, mich nicht zumachen mit Alkohol oder flachem Geschwätz; oder, noch besser, nicht mehr ständig zur Verfügung stehen, wenn sie mir ihre unzähligen Probleme schildern. Verweigerung totale – ich fühle mich gut dabei. Es ist, als nähere ich mich einem Kern, der sich mir nur langsam, Schicht um Schicht erschließt. Meine Angst und meine Tränen als Wegweiser, dieses immer wieder hochsteigende heiße Gefühl von Ergriffensein, von Berührtwerden – und immer auch- der plötzliche Friede dazwischen.

Körperliches

Und meine Gesundheit? Meine Fähigkeit, aktiv zu sein, viele Dinge auf einmal zu tun, Kraft zu haben, Durchhaltekraft, Nervenkraft- mit dem schnellen Lebensfluss ziehen, mitsprechen, stundenlang tanzen – meine Zähne, mein Gesicht, meine Beine, über alles denke ich jetzt nach. Die Leistung, die ich ständig bringe auf der Arbeit, zuhause, meine Kinder- all das wird nicht mehr so sein wie früher und davor habe ich Angst! Wie sich das verändern wird, welche Probleme mir meine Gesundheit bereiten wird, ob ich das alles noch leisten kann, was ich mir vornehme?

Die Gefühlsstürme der Wechseljahre, die Bedrohung durch Krebs und Osteoporose usw. Was sie darüber schreiben, finde ich unbehaglich und bedrohlich. Wie soll ich damit umgehen, mich vorbereiten? Wahrscheinlich ist es aber wie mit der Geburt: der Körper bereitet sich selbst von innen heraus vor und zeigt mir den Weg.

Kreatives

Auf dem Arbeitssektor habe ich mit einem Schlag mehrere Projekte und Therapien abgeschlossen und mich nicht mehr für neue Anfragen geöffnet. Mitte Juni endete sogar meine geliebte Frauensupervisionsgruppe, ein langer Abschied auch von Inga, meine Ausbilderin.

So manchen Traum habe ich aufgegeben, weil es nicht zu vereinbaren war mit den Kindern, dem Geldverdienen und meinem großen Bedürfnis nach Sicherheit: Trommeln, Guitarre spielen, in einer Band Musik machen, tanzen, schreiben, filmen, dieser nur bruchstückhaft gelebte Teil meiner Identität – werde ich es noch schaffen, etwas davon zu verwirklichen, Anerkennung zu finden? Oder muss ich endgültig davon ablassen? Alte Fragen werden zu neuen Fragen.

Beziehungen

Meine Ehe mit Bruno, unsere Suche nach neuen Möglichkeiten der Begegnung angesichts des Scheiterns unserer beider Jugendidentitäten (er: Tischlerei, ich: Kunst). Beide mussten wir loslassen mit soviel Schmerz! Die Trauer darüber ist eher stärker geworden, jetzt wo das Leben fragt, was willst du mit der Zeit, die dir noch bleibt anfangen?

Die Gleichung, die früher immer funktioniert hat – oder doch wenigstens meistens- Erotik gegen Geborgenheit- geht nicht mehr so leicht auf- woran das liegt? Ich bin älter, stärker, selbstbewusster geworden. Die Männer können sich nicht mehr so als Beschützer fühlen, sie sind unsicherer in meiner Gegenwart, ängstlicher, sich einzulassen auf etwas Unbekanntes und sei es noch so harmlos wie ein Kuss, eine Umarmung, Nähe miteinander teilen. Ich fürchte mich auch, habe große Verlustängste, aber ich will leben, werde offensiver und ich merke, schmerzhaft bis witzig ( mein starkes, freches rotes Lederhemd färbte ab und färbte alles an mir Rot!!!)dass sich wirklich etwas verändert hat in meinem Verhältnis zu Männern. Und wenn Theo sagt, das Nachdenken täte mir wohl nicht so gut, ich sei dann so melancholisch, dann hat er eben nicht viel verstanden. Oft kommen mir meine Freunde vor wie Brüder, jüngere Brüder. Trotz allem bin ich sehr froh, dass ich sie habe.

Auch meine Freundschaften zu Frauen nehmen eine andere Färbung an. In meinen Frauengruppen gibt es mehr Spannungen, oder ich nehme sie mehr wahr? Wir sind ja alle etwa gleichaltrig, machen sich bei ihnen auch schon diese Vorahnungen bemerkbar? Das Wort Wechseljahre nehmen wir nicht in den Mund. Ich denke meistens nicht daran, nur jetzt, wo ich Zeit habe, in mich zu horchen. Meine Freundinnen sind sehr wichtig für mich, sie sind meine Weggefährtinnen. Wir teilen so viel, wir trösten uns, wir lachen. Wir werden auch zusammen alt werden?

Was bleibt – was kommt?

Die neue Haut schimmert schon durch, der Anfang der Häutung ist gemacht, sie wird sich ganz unbewusst von alleine vollziehen – und ich begrüße sie!

Hilfe finden

Ich habe Gallenschmerzen, unregelmäßige Blutungen, Tag und Nacht starke Hitzewellen. Meine linke Schulter schmerzt, ich fühle mich rastlos und unglücklich. Ich suche jemanden, mit dem ich sprechen kann, gleichaltrige Frauen, die mit mir ein Ritual nach dem Ausbleiben meiner Menstruation feiern wollen, aber ich kenne niemanden. Dann das Kennenlernen einer Heilpraktikerin: der Raum ist hell und einladend gestaltet. Ich bin aufgeregt, die Frau gefällt mir. Sie fragt mich, was mir heilig sei und ich sage: Kinder sind mir heilig. Sie schlägt mir vor, mich bewusst auf meine neue Lebensphase als alte Frau vorzubereiten. Alte Frau? So fühle ich mich doch noch gar nicht! Sie lacht und meint, das wird schon noch kommen. Ich bin begeistert, erleichtert, ängstlich. Endlich die Chance, von einer älteren Frau zu lernen, die viel Erfahrung hat, wo ich mich beschützt hineingeben kann. Ich freue mich über ihr Angebot, meinen Übergang in die nächste Phase zu begleiten. Yipeeeeh!